Von der Ikone zur „Series of Tolerance“
Mit außergewöhnlichen Stuhl-Kreationen sorgen Schüler der HTBLVA Graz-Ortweinschule für Furore. Pate dafür stand ein echter Designklassiker.
Wie eine Schatztruhe des Designs ist der Designmonat Graz. Auf besondere Weise zeichnet er eine faszinierende Landkarte heimischen Designs und lädt zur Entdeckungsreise. Ein X inmitten der breitgefächerten Vielfalt ist ein spannendes Stuhl-Projekt, das hier seine Premiere feiert und zugleich weit über das steirische Designevent hinaus reicht, Design und Kreativität mit handwerklichem Können und karitativem Gedanken vereint.
„Series of Tolerance“
ist das viel- wenn nicht sogar allessagende Thema dieses einzigartigen Projekts, hinter dem Schüler des 3. Jahrgangs der Fachsparte Innenarchitektur Raum- und Objektgestaltung der HTBLVA Graz-Ortweinschule und die Firma INSIDE aus der steirischen Landeshauptstadt stecken. Und ein echter Designklassiker.
Ikone revisited
„Serie 7“ von Arne Jacobsen, eine Ikone der Stuhl-, Möbel- und Designszene und weithin bekannt, wurde von dem bekannten Einrichtungshotspot unter Herrn Eisenberger in Graz als Ausgangspunkt für die beeindruckende frischen Stuhl-Kreationen zur Verfügung gestellt. Die Steiermärkische Sparkasse Zentrale bietet die Premierenbühne für die Stühle der jungen Könner, die nicht nur die Möglichkeit hatten, den Designerstuhl neu zu denken und designen, sondern dabei auch aktuelle Themen bearbeiteten. In Zweier-Gruppen machten sich die Schüler der renommierten „Ortweinschule“ ans Werk, hinterfragten, gestalteten, tüftelten, werkelten.
Design, Handwerk und guter Zweck
Den kreativen ergänzte der handwerkliche Part: So haben die Schüler die Stühle nicht „nur“ entworfen, sondern auch gleich selbst in der schuleigenen Werkstätte gefertigt. Interessant sollten sie aussehen und dabei auch zum Nachdenken anregen – und beides ist geglückt, wie die finalen Kreationen eindrucksvoll zeigen, die im Zuge des Designmonat Graz im Foyer der Zentrale der Steiermärkischen Sparkasse in Graz ihren großen Auftritt erleben, nach dem Designmonat Graz bei INSIDE-Einrichtungen präsentiert und verkauft werden und der Reinerlös dann einem karitativen Zweck zugute kommt.
Spannende Enthüllung(en)
Schon auf den ersten Blick wird dabei neben dem kreativen und handwerklichen Können auch die Vielschichtigkeit der Ansatzpunkte, Auseinandersetzungen mit dem Design und – viel mehr noch – mit bewegenden, aktuellen, brandheißen, gesellschaftlichen und politischen Themen und Ergebnisse klar.
So trägt „Lost Indian“ von Bianca Fink und Anja Schlick Leder, das wie ein zerrissenes Kleidungsstück wirkt und auf den zweiten Blick Rippen unter den Fetzen offenbart. „Federn hängen noch spärlich an der Rückseite des Stuhls hinunter und sind somit noch ein weiteres Erkennungsmerkmal, dass es sich hier um einen Indianer gehandelt hat“, so das Duo, das die Thematik der bis heute bedrängten, bedrohten und Indianer auf unkonventionelle Art mit diesem Stuhlentwurf, begleitet von mit Patronenhülsen gefüllten Alkoholflaschen, aufgreift.
Mit Aussagekraft
Auf einem Ölfass, das in knalligem Gelb lackiert ist, befestigt, präsentieren Carmen Baldasty und Evelin Spitzer den Stuhl von Arne Jacobsen.
„Tolerance make america great again“, so der Name der Skulptur, die “die Macht der heutigen Politik, die Intoleranz gegenüber der Menschheit, den Tieren und der Natur wiederspiegeln“ soll. Mit markantem Atomzeichen, auf einem Podest in Betonoptik, zeigt das Projekt die Intention der kreativen Köpfen und regt zum Nachdenken an.
Eine klare Ansage ist auch „NO TO RACISM“ von Joseph Göbel & Dominik Klug.
Ist Rassismus auch im Fußball allgegenwärtig, wollen die Schüler der HTBLVA Graz-Ortweinschule mit ihrem Entwurf die NO TO RACISM-Kampagne der UEFA unterstützen und auch auf die Problematik hierzulande aufmerksam machen – mit einem Stuhl mit blau lackierter Sitzfläche, weißen, Torstangen repräsentierenden Füßen mit Netz sowie dem Slogan als deutlich sichtbarem Schriftzug auf der Lehne, sowie mit doppeltem Effekt.
„Den Sessel schnell einmal umdrehen, in die richtige Position bringen: Fertig. Nun haben Sie ein funktionsfähiges Kleinfußballtor für ihr Wohn-, Ess- oder Kinderzimmer. Trotz alldem hat der Sessel seine ursprüngliche Funktion nicht verloren. Er dient als normaler Sessel, ist bequem zum Sitzen und bietet, trotz des Netzes, genügend Beinfreiheit.“
Mit ihrem Stuhlentwurf „Shine Pride“ greifen Theresa Dirnböck und Janine Sailer ebenfalls das Thema Toleranz auf.
Wenn auch anders – nämlich gegenüber der LGBTQ+-Community. „Der Sessel soll unter anderem an das pompöse Auftreten einer Drag-Queen erinnern.“ Der bunte Fächer des als Skulptur nutzbaren Stuhls ist aus in den Farben der Regenbogenfahne foliertem Acrylglas gefertigt, wirft sein Abbild bei Sonneneinstrahlung auf den Stuhl und das AIDS-Symbol aus schwarzem Stoff dient optisch als Halterung des Fächers.
Krieg & Frieden
„WAR INSIGHT soll die ganze Welt erinnern, dass in Syrien noch Krieg herrscht“, so Rachele Forcellini & Clara Bardakji über ihre Kreation. Der Umriss Syriens mit der Flagge darin ziert die Rückenlehne, mit einer Waffe wurde darauf geschossen und daraus fließt Blut, der Stacheldrahts um den Sessel verhindert das Hinsetzen ohne sich zu verletzen – eine eindrucksvolle, starke Skulptur.
„Bei diesem Projekt wollen wir Toleranz, Respekt und Zusammenhalt, zwischen den Religionen, näher bringen“, beschreiben Petra Andricic & Mihaela Jalsovec „Peace for the world“. Nomen est omen, trägt der in schwarz-weiß gehaltene Stuhl das Peace-Zeichen, das die Vorderseite der Lehne in drei Teile mit jeweils heiligen Texten der drei Religionen teilt. Die Oberfläche der Sitzfläche ist mit dem Zitat „Aren´t we all humans? Then why can´t we live in peace?“ versehen, das zum Nachdenken anregen soll, die drei Religionen werden mit Symbolen auf der Rückseite sowie den drei Sesselfüßen, die zu Einem werden, erneut aufgegriffen.
Stark von Design bis Skulptur
Charakterstark tritt uns „RealFace“ von Selina Ulm & Delia Vollstuber entgegen, zeigt ein verzerrtes Spiegelbild und den Satz „Wahre Schönheit ist zeitlos“. „Die wahre, zeitlose Schönheit ist nicht das verzerrte Ich im Spiegel, sondern der Charakter“, so die beiden Jungprofis, auch den Charakter des Stuhl-“Originals“, das mit einer Spiegelfolie beklebt wurde, den zierlichen, aber eindrucksvollen Schriftzug trägt, der durch die Wölbung des Sessel mit einhergehendem, verzerrtem Spiegelbild aber nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. „Wahre Schönheit ist zeitlos, bedeutet für den Sessel, dass, obwohl er 1955 designet und gebaut wurde, trotzdem sehr aktuell ist und mit der Zeit geht.“
Dass die jungen Köpfe keineswegs die Auseinandersetzung mit heißen Themen scheuen, sondern sich diesen auf besondere Weise stellen, zeigen auch Elena Eisenberger und Jan Köppel mit ihrem Projekt „Wir sind offen“. Dem Thema Migration in Österreich gewidmet, findet sich in der Sitzlehne ausgeschnitten die Karte des Landes mit offenem Schloss in der Mitte, das die Offenheit des Landes zur Migration zeigen soll. „Auf der Sitzfläche wollen wir die Welthalbkugel andeuten. Darauf sieht man einen Teilausschnitt der Weltkarte mit den Ländern Serbien, Syrien und Libanon. Die Migranten werden mit Schlüssel dargestellt, sie stehen alle versammelt in ihren Ländern auf dem Globus“, beschreiben sie den Sessel, der durch die Umgestaltung seine ursprüngliche Funktion einbüßte, aber , nun als Skulptur mit Message an die Außenwelt fungiert.
Der Freiheit gewidmet
Apropos Freiheit: „Free Speech“, wie wie Hanna Schmölzer und Sabrina Zechner beschreiben, „die Situation darstellen, in der man sich befindet wenn man seine eigene Meinung, sowohl privat als auch öffentlich, nicht laut äußern darf“. Der von ihnen entwickelte Stuhl, dessen Oberfläche komplett mit Seiten der Zeitung „The New York Times“ belegt ist, ist mit einer massiven Stahlkette umwickelt, deren Enden mit einem Schloss verbunden sind, hat aufgrund dieser seine frühere Funktion als Sitzmöbel verloren und ist damit zur Skulptur avanciert.
Einen wichtiges Thema bringen auch Eleni Gesierich & Petra Köberl mit „Wheelchair Edition Serie 7 – Design for all“ auf’s Tableau – oder im Projektsinne: Auf die Sesselbeine.
“Der Rollstuhl soll mit seinem guten Design die Toleranz und Eingliederung von beeinträchtigten Menschen darstellen. Jedoch mit einer gewissen Hürde: Die kleinen Vorderräder des Rollstuhls wurden durch Sesselbeine ersetzt. Der Rollstuhl wirkt zwar wie ein Rollstuhl, ist allerdings nicht mehr als Rollstuhl nutzbar, sondern nur als Stuhl. Es soll das nicht vollendete Denken im Design darstellen“, erklären sie den aus in Grau und schwarz gehaltenen, aus Aluminiumrohren und Kunststoffteilen bestehenden Serie 7 Stuhl, der mit seiner roten Farbe herausstechen soll.
Natürlich anders
Als „outstanding“ erweist sich auch „Destroyed Nature“ von Julia Purkarthofer und Anna Lembacher. „Wir möchten zeigen, dass die Natur einzigartig ist. Wir haben sie teilweise schon vernachlässigt und sollten dies schleunigst ändern und versuchen, unser Fehlverhalten rückgängig zu machen“, erklärt das Duett die Skulptur, bei der ein Baumstamm – anstelle der Stuhlbeine – die mit Islandmoos verkleidete Sitzschale trägt und die Verbindung der Erde zu den Menschen darstellt. Im Spiegelpodest, auf dem der Spruch „Alles was gegen die Natur ist, hat auf Dauer keinen Bestand“ von Charles Darwin angebracht ist, spiegelt sich der komplette Stuhl wieder und erinnert an einen Baum.
Als „Kunstobjekt“ sehen und verstehen auch Michael Roßmann und Lena Kienzl ihre Kreation „Art(un)gerecht“. Das Möbel mit zwei, miteinander verschraubten und an der Unterseite des Sessel montierten Fußgestellen aus Metall auf acht symbolischen Tierfüßen aus Zirbenholz, Fenster in der Lehne, weiß lackierten und mit Filz- bzw. Lederbezug versehenem Sitzteil „steht für die Hoffnung, dass ein respektvolleres Miteinander von Mensch und Tier möglich wird.“
Natürlich ganz anders ist die Kreation von Sabrina Fürhapter und Laura Kogler. „FlowerPower“ greift die Hippie-Zeit und den toleranten, offenen Zeitgeist auf und sei „ausschließlich als Darstellungsobjekt gedacht“, da sonst die fein säuberlich mittels Heißkleber fixierten Kunstblumen und -blätter zerstört werden könnten, die den Stuhl, an der rechten oberen Kante zudem mit einer Spiegelfolie beklebt, zieren.
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