Filigraner als filigran
Stühle gibt es wahrlich viele. Mit D7 und D7K für Tecta stimmt Klemens Grund in den jahrtausende langen Stuhl-Kanon ein – und setzt einen modernen Akzent. Der Designer gestaltete einen filigranen Stuhl aus Holz, der im Bregenzerwald gefertigt wird und dem klassischen Polstermöbel in puncto Komfort um nichts nachsteht, und lässt den Klappstuhl ein zeitgemäßes Revival feiern. Ein Designer, ein Charakterstück, viel Kreativität – ein Interview.
Von Sylvia Pilar
Woher kam die Idee, einen Stuhl zu gestalten? Was hat Sie an dem Thema gereizt?
Das Thema Stuhl ist für einen Produktdesigner unglaublich reizvoll. Während meines Studiums wurde das Thema bearbeitet, meine erste Reaktion war eine ablehnende, aber mittlweile sehe ich es anders. Es gibt immer noch etwas zu entdecken und der Stuhl vereint mehrere Dinge: Einerseits reiht er sich in eine fast 4.000 Jahre alte Geschichte der Stühle ein.
Zweitens sind die Bedingungen seit jeher immer und für alle gleich: Es muss ein Hintern darauf passen, der Stuhl darf nicht zusammen brechen, er muss bequem sein, er hat eine Sitzhöhe von etwa 45 cm. Und ihn unterscheidet von anderen Produkten, dass er dem Körper sehr nahe kommt. Ein Stuhl ist fast wie ein Kleidungsstück. Man ist mit einem Stuhl intimer als den Kollegen bei der Arbeit.
Diese Mischung von statischer, ergonomischer, designgeschichtlicher, funktionaler Herausforderung macht das Thema Stuhl für mich spannend.
Ein Stuhl ist fast wie ein Kleidungsstück. Man ist mit einem Stuhl intimer als den Kollegen bei der Arbeit.
Und die Inspiration für D7 und D7K?
Gerne will man eine schlüssige Geschichte hören. Die kann ich aber nicht bieten. Ich wollte einfach einen Stuhl, einen Klappstuhl machen. Ich habe das Klappprinzip entdeckt und dann erste Prototypen entwickelt. Der Ansporn war nicht nur, dass der Stuhl funktioniert, sondern ihn auch möglichst filigran zu gestalten, skulptural ansprechend, und bei minimalem Einsatz von Material größtmögliche Eleganz zu erzeugen. Der Klappmechanismus war da eine zusätzliche Herausforderung.
Wie würden Sie die Formensprache, das Design beschreiben?
Typologisch ist es natürlich ein Armlehnstuhl. Formal betrachtet, sehen ihn viele als skandinavisches Design. Das nehme ich als Kompliment, habe mich aber nie so intensiv damit beschäftigt, um das unterschreiben zu können. Skandinavisches Design arbeitet aus einer Handwerksposition heraus, in tiefem Respekt dem Material gegenüber. Über das Holz, das Konstruktive, die ausgereifte, auf die Spitze getriebene Handwerklichkeit meines Stuhls wird diese Verwandtschaft hergestellt.
Den meisten Klappstühlen sieht man ihre Klappbarkeit an. Ich wollte etwas machen, wo das nicht so ist.
Filigranität trifft Komfort – wie ist dieser Balanceakt geglückt?
Ich glaube nicht, dass man einen Stuhl polstern muss. Man kann auch einen Holzstuhl bequem gestalten. Man muss sich einfach mehr Mühe geben, sei es in der Ausarbeitung des Holzes wie auch in der Erstellung von mehr Studien. Davon habe ich viele gemacht, ebenso Prototypen und wir haben uns an den Stuhl herangetastet. Er ist sehr ausgefeilt, die Filigranität ist auf die Spitze getrieben und verleiht dem Stuhl etwas Delikates.
Holz ist das Material der Wahl. Warum gerade dieses Naturmaterial und wie wichtig sind überhaupt „ehrliche“ Materialien?
Ich bin Schreiner. Ich bin natürlich verliebt in Holz. Das macht es heute sehr einfach, weil es ein ökologisches Material ist, ein nachwachsender Rohstoff, man muss sich nicht mehr erklären. Und kaum jemand mag kein Holz. Ich bin jedes Mal wieder bezaubert von der Schönheit dieses Materials. Die Frage nach dem Lieblingsmaterial stellt sich aber nicht, sondern nur, welches Material in welchem Kontext eingesetzt wird. Wenn es richtig eingesetzt ist, dann ist es das Lieblingsmaterial. Mir ist die Purheit wichtig. Heute spricht man von Materialehrlichkeit. Die sehe ich in Gefahr, weil es oft nur noch um den Look, um Formen, Farben, Inszenierung geht, und nicht, was es ist, wie es sich anfühlt, riecht, klingt.
Ich glaube nicht, dass man einen Stuhl polstern muss. Man kann auch einen Holzstuhl bequem gestalten. Man muss sich einfach mehr Mühe geben.
Gefertigt wird der Stuhl von Martin Bereuter in Vorarlberg, konkret im Bregenzerwald. Wie kam es zu diesem Duett, weil Sie sind ja eigentlich selbst Tischlermeister?
Das stimmt, aber der Klappstuhl ist so komplex, dass man ihn nicht einfach an der Hobelbank herstellen kann, sondern einen hochprofessionellen Betrieb braucht. Martin Bereuter habe ich zu meiner Zeit bei Peter Zumthor kennengelernt, er war beim Werkraumhaus Bregenzerwald als Schreiner mit dabei und wir haben bei einem Projekt in Bregenz zusammen gearbeitet. Ich habe ihm dann mal den Entwurf des Klappstuhls gezeigt, er hat sowohl das Prinzip des Stuhl wie auch das Potenzial gesehen, er wurde gefertigt, zum Wettbewerb „Handwerk+Form“ eingereicht und hat eine Anerkennung erhalten.
Sie lassen den Klappstuhl gewissermaßen neu aufleben. Ein raffiniertes Design-Highlight oder steckt eine andere Intention dahinter, wie – vor allem im urbanen Raum – immer kleiner werdende Wohnräume?
Den meisten Klappstühlen sieht man ihre Klappbarkeit an. Ich wollte etwas machen, wo das nicht so ist. Er soll die Sitzmöglichkeiten am Esstisch erweitern, ohne auszusehen wie ein Provisorium, sondern wie sein großer, nicht-klappbarer Bruder. Auf ein Szenario habe ich ihn nicht zugeschnitten. Ich bin kein Designer, der ein Problem sucht und löst. Ich habe eine Intention, eine Inspiration, eine Idee, versuche ihr zu folgen und folgerichtig ein Produkt zu entwickeln.
Ich bin Schreiner. Ich bin natürlich verliebt in Holz.
Mit dem „Papstregal“ S3 von Tecta haben Sie ein Regal gestaltet, das in Länge und Höhe unendlich erweiterbar ist. Nun einen Stuhl mit Klappfunktion. Sind – neben gutem Design – solch funktionale Highlights nicht mehr Trumpf, sondern Pflicht?
Ich weiß nicht, ob es heute Pflicht ist, etwas so Komplexes zu gestalten. Wie es André Comte-Sponville sagt: „Das Gegenteil von Einfachheit ist nicht die Komplexität, sondern das Falsche.“ Wichtig ist es, auf die Frage die richtige Antwort zu geben – und die kann einfach oder komplex, soll vor allem aber die richtige sein.
Welche Designideen schwirren Ihnen aktuell durch den Kopf? Gibt es aktuelle Projekte, zu denen Sie etwas verraten können?
Aktuell arbeite ich an neuen Produkten für den „Salone“ in Mailand. Beim Salone Satellite werde ich sieben Produkte zeigen, darunter einen Klapptisch, der sowohl draußen wie auch im Innenraum funktioniert. Und ich arbeite ja nebenher auch architektonisch. In Köln gestalten wir gerade eine Kaffeerösterei – ein spannendes Projekt.
Zu Klemens Grund:
Klemens Grund, Baujahr 1982, hat nach seiner 2002 abgeschlossenen Tischlerlehre zudem Designstudium an der Akademie des Handwerks, Gut Rosenberg, absolviert, als Jahrgangsbester abgeschlossen und kehrt später als Doenz im Fach „Entwurf“ zurück. Zunächst als Meisterdesigner in der Schreinerei Brammertz und 2009 mit der Auszeichnung Jungeshandwerk NRW geadelt, zog es den Architektur-begeisterten Designer zum Atelier Peter Zumthor & Partner, wo er von 2010 bis 2013 arbeitete und unter anderem beim Werkraumhaus Bregenzerwald mitwirkte. 2013 gründete er sein eigenes Gestaltungsbüro. Der von ihm gestalteten Klappstuhl D7K wurde bereits mit dem Staatspreis NRW, manufactum 2015, sowie 2016 mit dem Abraham und David Roentgen Preis ausgezeichnet.
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