Design ist mehr als nur Ästhetik
Der gebürtige Kolumbianer Rodrigo Torres hat die Küchen- und Badarmatur Alessi Sense by Hansa mit Touch-Pad zur Regulierung des Wasserflusses designt. Ein optisch gelungener Entwurf, der zugleich auch Wasser sparen hilft, denn für Torres hat Design nicht nur mit Ästhetik zu tun, sondern auch mit Verantwortung.
Von Harald Sager
Die Alessi Sense by Hansa hat den begehrten Red Dot Award 2016 erhalten. Was ist so speziell an diesem Wasserhahn, dass er für preiswürdig befunden wurde?
Design wird oft auf das Entwerfen hübscher Dinge reduziert. Bei der Alessi Sense by Hansa ging es aber zugleich auch darum, die Menschen dazu zu bringen, weniger Wasser zu verbrauchen. Die Schönheit dieser Armatur ist ein erweiterter Begriff: Sie bezieht sich sowohl auf ihr essentielles und gewissermaßes „fluiden“ Erscheinungsbild als auch auf ihre ressourcenschonenden Funktion.
Der ungezügelte Wasserverbrauch ist eines der großen Probleme unserer Zeit. Wir vergeuden Unmengen an Wasser, indem wir gedankenlos den Wasserhahn rinnen lassen, während wir gerade andere Dinge tun. Daher müssen wir daran arbeiten, unsere Gewohnheiten zu ändern. Wir müssen bewusster und achtsamer mit Wasser umgehen, und wenn wir es selbst erst einmal gelernt haben, werden wir es auch an unsere Kinder weitergeben.
Der Alessi Sense by Hansa-Wasserhahn funktioniert interaktiv: Wir haben ihn mit einem Touch-Pad ausgestattet, mit dem der Nutzer den Wasserfluss für eine von ihm gewählte Dauer aktiviert. Nach einer bestimmten Zeit stoppt dieser automatisch. Dadurch fällt die Gewohnheit weg, das Wasser einfach so rinnen zu lassen, wenn man es nicht wirklich braucht, wie zum Beispiel beim Zähneputzen.
Unsere Botschaft scheint jedenfalls angekommen zu sein: Die produzierten Stückzahlen liegen 50 Prozent über den Erwartungen.
Wie sehen Sie in dem Zusammenhang Ihre Rolle als Designer?
Wir Designer tragen große Verantwortung. Wir sollten Design nicht nur als eine ästhetische Angelegenheit sehen, sondern es auch mit Sinn erfüllen. Daher wollte ich im Fall der Alessi Sense by Hansa nicht bloß eine hübsch anzusehende Armatur entwerfen, sondern die Leute dazu animieren, ihr Verhalten zu ändern.
Ich glaube, dass mir das durch die Einführung des Touch-Pads gelungen ist: Dieses Interface zwischen Funktion und Nutzer überlässt diesem bei jeder einzelnen Waschgelegenheit die Wahl, seinen Wasserverbrauch auf den tatsächlichen Bedarf abzustimmen.
„Wir sollten Design nicht nur als eine ästhetische Angelegenheit sehen, sondern es auch mit Sinn erfüllen.“
Man hat als Designer nicht allzu oft die Gelegenheit, etwas zu entwerfen, das eine echte Verhaltensänderung bewirken kann. Es erfüllt mich mit Befriedigung, meinen Beitrag dazu geleistet zu haben, dass die Menschen sorgsamer mit dem Wasser umgehen.
Wie funktioniert die Alessi Sense by Hansa genau?
Auf der Oberseite der Armatur befindet sich ein semi-transparentes Touch-Pad. Wenn Sie nur kurz Wasser benötigen, drücken Sie leicht auf das Touch-Pad und haben sechs Sekunden lang Fließwasser. Eine längere Durchflusszeit von einer Minute wird durch einen intensiveren, einsekündigen Druck aktiviert. An der rechten Seite der Armatur befindet sich der Temperaturregler, der gleichzeitig auch als Durchflussbegrenzer fungiert, das heißt, Sie können das Wasser auch bereits vor Ablauf der Minute wieder abdrehen. Wer die Armatur „traditionell“ nutzen will, kann das mit dem Temperaturregler tun, der den Wasserfluss öffnet, ohne ihn automatisch wieder zu schließen. Die batteriebetriebene Armatur gibt es in einer Variante fürs Bad (wahlweise mit Funktionsbrause) und in einer für die Küche.
Wie haben Sie den Auftrag bekommen und das Design erarbeitet?
Ich selbst habe ihn von der Firma Alessi bekommen, für die ich schon öfter gearbeitet habe. Vier Designer waren in der engeren Wahl, und ich konnte mich durchsetzen. Alessi zeichnete bei dem Projekt für das Design verantwortlich. Das letzte Wort hat dort übrigens immer Alberto Alessi.
Bei meiner Arbeit an der Alessi Sense by Hansa war ich vor allem mit den Entwicklungsingenieuren von Oras, dem finnischen Mutterunternehmen von Hansa, in zweiter Linie mit den Marketingleuten von Hansa in laufendem Kontakt. Das ganze Projekt dauerte zweieinhalb Jahre.
War die Alessi Sense by Hansa Ihre erste Arbeit im Sanitärbereich?
Nein, ich habe bereits an der berühmten Keramik-Badserie Ilbagnoalessi One, die Stefano Giovannoni für Alessi entwarf, mitgewirkt.
Wie würden Sie Ihr eigenes Design charakterisieren? Man hat den Eindruck, dass Sie oft relativ trivialen Gegenständen eine ironische Wendung geben, wie zum Beispiel Ihrem Büroklammernhalter in Form eines Vogels, wobei die angehefteten Büroklammern selbst wie Federn wirken, oder dem pistolenartigen Feuerzeug Sushi, beide für Alessi.
Wenn ich einen Gegenstand entwerfe, suche ich nach der essentiellen Form. Essentiell im Sinne von wesentlich, nicht von minimalistisch. Ansonsten fühle ich mich nicht gebunden und arbeite sehr eklektisch. Ich lasse mich aber, siehe die Alessi Sense by Hansa, durchaus von ethischen Prinzipien leiten. Eine gewisse Ehrlichkeit im Design ist Voraussetzung. Wenn ich etwas Neues beginne, frage ich mich immer: Wie kann ich einen ehrlichen, authentischen Gegenstand schaffen? Wie kann ich gleichzeitig eine kleine Geschichte – wie zum Beispiel die des Bleistiftspitzers Kastor in Form eines Bibers (für Alessi) – erzählen?
Und noch ein Merkmal gibt es: Ich entwerfe relativ viele Sitzmöbel, für Cassina, Poliform, Potocco und Domodinamica. Das Lustige daran ist: Als Student habe ich das Thema Stühle gehasst!
„Wenn ich einen Gegenstand entwerfe, suche ich nach der essentiellen Form.“
Entstehen Ihre Entwürfe am Computer, oder zeichnen Sie?
Ich habe immer schon viel gezeichnet. Schon als Kind war ich ein guter Cartoonist, später habe ich mich auf Gegenstände verlegt. Auch jetzt habe ich immer mein Notizheft bei mir. Ich beginne mit gezeichneten Skizzen. Sobald sich etwas Konkretes abzeichnet, setze ich es am Computer fort, und darauf folgt dann das Hin und Her mit den Technikern des jeweiligen Auftraggebers.
Arbeiten Sie allein oder im Team, leiten Sie Ihr eigenes Designstudio?
Ich bin eine Ein-Mann-Show, wie viele Designer, mit denen ich zusammengearbeitet habe, zum Beispiel Alberto Meda. Man kooperiert für das eine oder andere Projekt, dann geht jeder wieder seiner Wege. Ich habe vom Jahr 2000 an fünf Jahre im Studio des bekannten Designers Stefano Giovannoni gearbeitet. Stefano glaubte an mich. Dann beschloss ich, mich selbständig zu machen – was in gewisser Weise ein Abenteuer ist. Jetzt arbeite ich normalerweise alleine, suche mir aber Mitarbeiter, wenn sich ein größeres Projekt ergibt.
Es ist auch nicht so, dass man als Selbständiger ganz für sich arbeitet. Ich bin immer in einem intensiven Austausch mit den Ingenieuren des jeweiligen Auftraggebers. Ich beginne mit einem bestimmten Konzept, und die Techniker helfen mir dabei, es real werden zu lassen. Am Ende kommt dabei ein ganz neuer, frischer Gegenstand heraus.
„Ich wollte immer schon mit Firmen aus der ganzen Welt arbeiten – und das tue ich jetzt auch!“
Sie sind vor drei Jahren von Mailand in Ihre Heimatstadt Bogotá zurückgezogen. Warum?
Ja, ich lebe jetzt mit meiner schwedischen Frau Veronica, die ich in Mailand kennen lernte, und meinen drei Söhnen in den Bergen nördlich von Bogotá. Ich habe eine bestimmte Verantwortung empfunden, am Wiederaufbau Kolumbiens nach dem jahrzehntelangen Bürgerkrieg mitzuwirken.
Ich arbeite international, brauche dazu aber nichts weiter als mein Moleskine-Notizheft und einen Internet-Anschluss. Zusätzlich möchte ich mich aber verstärkt auch für die kolumbianische Industrie engagieren, so habe ich für den Haushaltsgerätehersteller Challenger die „Signature“-Linie entworfen, die aus einem Herd, einem Kühlschrank und einer Dunstabzugshaube besteht. Von Zeit zu Zeit halte ich auch designbezogene Vorträge an der Universität Bogotá. Ich liebe es zu unterrichten, ich habe das ja auch fünf Jahre lang an der Mailänder Domus Academy, an der ich selbst studiert hatte, getan. Es fehlt mir nur die Zeit dazu!
Woran arbeiten Sie gerade?
Meine letzte abgeschlossene Arbeit ist die „Torres“-Linie von Außenleuchten für Wege, Wände und Oberleitungen, die ich für den US-Hersteller Landscape Forms entwickelt habe. Ansonsten arbeite ich an Möbeln für Hotels und Resorts für die mexikanische Firma Cima, erweitere die „Signature“-Linie des kolumbianischen Herstellers Challenger und habe soeben einen Stuhl-Prototypen für Cassina IXC in Japan fertiggestellt. Ich wollte immer schon mit Firmen aus der ganzen Welt arbeiten – und das tue ich jetzt auch!
Zu Rodrigo Torres
Der aus Kolumbien stammende Rodrigo Torres studierte Industriedesign an der Universität Bogotá und machte seinen Master an der Mailänder Domus Academy. In den Jahren 2000 bis 2004 arbeitete er mit dem Studio von Stefano Giovannoni zusammen. Rodrigo Torres hat Produkte für zahlreiche namhafte Firmen entworfen, darunter Alessi, Poliform, Fiat, Magis, Challenger, Landscape Forms, Nike und Microsoft. Bis zur Rückkehr in seine Heimatstadt Bogotá vor drei Jahren unterrichtete Rodrigo Torres zusätzlich zu seiner selbständigen Designertätigkeit auch an der Domus Academy und am Istituto Europeo di Design in Turin. In Bogotá lebt der 41-Jährige nun mit seiner schwedischen Frau Veronica, einer Grafikerin, und seinen drei Söhnen und hat keine Angst, etwas abseits vom Schuss zu sein: „Alles, was ich brauche, ist ein Notizheft und eine Internet-Verbindung.“
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